23.05.2020

Ein Gastbeitrag von Mama

 

Hallo ihr!

Heute möchte ich, Tanja, Samus Mama, mich gerne mal direkt zu Wort melden. Wir haben verrückte, aufwühlende, aufregende und anstrengende Tage hinter uns. Aber ebenso waren sie irgendwie glücklich, erstaunlich entschleunigt und haben uns allen so viel Neues gezeigt.

 

 

Geplant war unser Aufenthalt in der Kinderklinik in Freiburg eigentlich von Mittwoch bis Freitag letzte Woche. Weil es ja aber nie langweilig werden kann (wir haben uns schon oft gefragt welche Tyrannen wir im letzten Leben gewesen sein müssen  😉 ) sind wir aus Gründen bereits am Dienstag aufgebrochen. Leider hat Samu seit vorletztem Montag eine teilweise Parese im Gesicht – also eine Lähmung bzw. Schwächung der Muskulatur. Klingt bei seinem Krankheitsbild, einer eigentlich fortschreitenden Muskelschwäche, zunächst nicht ungewöhnlich. Dass aber nur einzelne Muskeln ausfallen und das auch noch sehr plötzlich, ist keinem der behandelnden Ärzte bisher untergekommen. Leider betrifft es in diesem Fall Samus Mimik – er lacht seit mittlerweile zwölf Tagen nur noch einseitig. Hat ein bisschen was von fiesem Grinsen – wenn ich ehrlich bin, finde ich es aber schlimm mit anzusehen. Ausgerechnet sein Gesicht, das so ausdrucksstark ist, das er schon lange vor dem Sprechen intensiv zur nonverbalen Kommunikation eingesetzt hat.

Ein bisschen beruhigen möchte ich euch schon: Er kann weiterhin reden, ganz vielleicht ein kleines bisschen undeutlicher als vorher, auch der Lidschluss und seine Augenbrauen, die schon so manchen fasziniert haben, funktionieren einwandfrei. Er selbst spürt die Veränderung durchaus, wann immer ich ihn bitte zu lachen, um zu sehen ob sich etwas verändert/verbessert/verschlechtert hat, sagt er: „Mama, die Backe ist immer noch faul!“.

 

 

Naja, so sind wir also einen Tag früher angereist, denn schwerwiegende zentrale Ursachen ließen sich Zuhause nicht untersuchen und ausschließen. Obwohl wir die Kinderklinik mit gutem Grund als unser zweites Zuhause ansehen war dieses Mal alles anders wegen….warum nur? Corona natürlich. Vor dem Eingang drei leere Behindertenparkplätze, die einzigen vor der Klinik, sonst immer voll, wir haben dort noch nie geparkt – bis letzten Dienstag. Kontrollen am Eingang, eine lange Liste mit Patientennamen die stationär aufgenommen werden. Einlass nur mit Überweisungsschein, Mundschutz und nach Händedesinfektion. Eintreten nur für ein Elternteil erlaubt, Samu und Papa warten vorerst draußen. Anmelden im Stehen, mit Plexiglas zwischen den Gesichtern, Sicherheitsabstand. Alle Taschen (und das sind nicht wenige) allein auf die Station tragen. Einzelzimmer beziehen, eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Sogar eins mit eigenem Badezimmer, noch viel unmöglicher! Keine Benutzung der Elternküche, also nur ungekühlte Speisen für Samu mitnehmen. Noch ein zweites Mal die Tour durch die Klinik, um die restlichen Taschen zu holen, dieses Mal aber mit Passierschein von der Station, Samu und Papa weiterhin vor der Tür. Dann ein merkwürdiger Abschied, denn Papa muss draußen bleiben während Samu und ich in die Klinik gehen. Eigentlich Abschied für drei Nächte, die dann zu vier wurden. Verabredung zum Gute-Nacht-Sagen über FaceTime. Auf dem Weg zur Station gleich zweimal Aufzug fahren, denn der Nebeneingang, den wir eigentlich nutzen und der uns einen umständlichen alten Aufzug erspart, ist zu, nur Fluchtweg. Samu nennt den kleinen alten Aufzug liebevoll „Schrottaufzug“. Der andere neue ist sein Lieblingsaufzug wegen der Regenbogenfarben an der Wand.

 

„Schrottaufzug“

Lieblingsaufzug

 

Oben angekommen alles einrichten, Beatmung, Heizbefeuchter, Cough Assist, Aeroneb aufbauen. Steckdosen suchen für all die Ladekabel. Nebenbei sondieren, absaugen. Mit den Schwestern und Ärzten reden. Aufnahmegespräch zwischendurch. Bitte noch eine Liste schreiben, was alles für die Nacht gebraucht wird – Tee, Spritzen, Medikamente zur Inhalation, Mullbinde zum Aufhängen der Ablaufspritze, Windeln, Feuchttücher, Aqua und Octenisept für die PEG, Waschschüssel, viele Waschlappen wegen des Speichels und….achja, bitte zwei von diesen Klett-Clips um die Schläuche am Bettlaken befestigen zu können. Sonst passiert an diesem ersten Tag nicht mehr allzu viel, eigentlich reichts uns beiden auch schon. Nur immer und immer wieder neue Ärzte denen Samu Gesichts-Gymnastik vormachen soll. Bitte einmal beide Augen zukneifen, lächeln, die Backen aufblasen, mit den Augenbrauen wackeln, böse gucken. Letzteres macht Samu perfekt und sogar ein bisschen freudig – denn ein klein bisschen böse darf man bei der vierten Vorführung schon werden, oder?  😉

Die erste Nacht läuft ruhig, die Schwestern auf Station haben viel Zeit, weil noch kein Regelbetrieb herrscht und die Zimmer nicht alle belegt sind. Ausnahmsweise mal Unterhaltungen ohne Stress, auch über den Alltag Zuhause, unsere und Samus Gewohnheiten und mitten in der Nacht auch mal eine Serien-Empfehlung für mich, um wach zu bleiben. Irgendwie schön, für alle. Das übliche Lichtermeer dazu, fast friedlich.

 

 

Die folgenden vier Tage und drei Nächte waren dann echt vollgeplant. Zum Glück durfte Boris mit ärztlicher Erlaubnis, ebenfalls mit Mundschutz und allen sonstigen Sicherheitsvorkehrungen für die wichtigsten Termine mit in die Klinik – nicht zuletzt weil wir uns seit Wochen, fast Monaten, sowieso streng isolieren. Zuerst Untersuchungen bei der Kinder-Kardiologie wegen eines heftigen Kreislauf-Problems im Januar. Viel Sorge bei Samu davor, Weinen während des EKGs. Den anschließenden Herz-Ultraschall ebenfalls mit Angst beginnen, dann aber in einem Gespräch mit der Ärztin über Salami und Kohlrabi-Gemüse versinken, kichern und den Glibber lustig finden. Weiterhin viele Gespräche mit Ärzten. Ein sehr langes über weitere Therapieoptionen für Samu. Sehr ausführlich und ehrlich, deshalb fühlen wir uns in Freiburg so gut aufgehoben. Auch ein MRT stand an. Viele kennen es – 15-30 Minuten ganz still liegen, möglichst nicht sprechen, Lärm aushalten und dem unguten Gefühl im Bauch nicht zu viel Raum geben. Ich hatte wirklich große Sorge, dass es für Samu beängstigend und anstrengend wird. Dass es nicht klappt, weil wir unter den Bedingungen nicht absaugen dürfen und sein Kopf statt mittig auf der Seite liegen muss. Klappt die Bildgebung dann? Trotz Vorgespräch mit der Spiel-Therapeutin, Vorlesen eines kindgerechten Info-Buchs und vielen Erklärungen hatte ich ein ziemlich mulmiges Gefühl im Bauch als wir unten ankamen. Samu durfte ein Hörbuch aussuchen: „Mama! Da gibts den gestiefelten Kater! Den will ich hören!“. Kurz darauf also rein mit ihm. Den Buggy mit allen Geräten (und Sicherheiten) bitte vor der roten Linie stehen lassen. Ein letztes Mal absaugen und dann auf die Liege. Kopf in die Schale, seitlich passt, zum Glück! Kopfhörer auf, ziemlich dick, trotzdem bequem, sagt Samu. Nun nur noch das obere Gestell, den „Helm“ aufsetzen. Kurze Panik – aber alles passt. Ich darf dabei bleiben, auch wenn die Dreads wegen der Perlen waagrecht vom Kopf abstehen weil sie vom MRT angezogen werden. Halte Samus Fuß als sein Kopf oben verschwindet. Blöde Perspektive, kann seine Mimik nicht erkennen um einzuschätzen wie es ihm geht. Der Krach geht los. Nach 25 Minuten Klopfen, Hämmern und Summen schließlich die Stimme aus dem Lautsprecher: „Wir sind fertig Samuel, das hast du toll gemacht!“. Und ob! So toll, dass ich vor Stolz fast weinen muss. Er hat sich überhaupt keine Gedanken gemacht, erzählt nur von dem Hörbuch und beschwert sich, dass er es nicht bis zum Schluss anhören konnte. Fragt, ob er den Speichel gut ausgespuckt hat. „Hast du!“ sage ich – „So toll hast du das gemacht, ganz vorsichtig gespuckt ohne, dass der Kopf gewackelt hat“. Er fragt ob er die Fotos von seinem Kopf sehen darf, weil er so neugierig sei. Klar darf er, die Radiologen sind wirklich lieb und zeigen Ohren, Gehirn und Nase auf den Bildern. „Ich hab meinen Kopf von innen gesehen, Mama, guck mal!“

Natürlich gab es auch die ganz üblichen Termine, die wir bei jedem geplanten Aufenthalt in Freiburg haben: Physio-Test und Lumbalpunktion. Der Test verlief so wie immer. Wegen Corona waren zeitgleich natürlich keine anderen Kinder in der Abteilung unterwegs und alles musste mit Mundschutz passieren. Beliebt war dieser Teil bei Samu noch nie – obwohl er nun schon so viel versteht und eigentlich wissen müsste, dass es nicht weh tut und schneller vorbei geht wenn er kooperiert, stecken die Erfahrungen des „Ausgeliefert-Seins“ von Früher einfach zu tief. Es ist einfach etwas, durch das man durch muss. Danach gab es den üblichen Spaziergang rund ums Klinikgelände und das Freiburg-Highlight: Straßenbahnen gucken. Sogar eine mit Zebramuster gab es dieses Mal, ab sofort vermutlich Samus Lieblingsbahn. Quasi zum Abschluss stand dann die Lumbalpunktion an, die alle vier Monate nötig ist, um Spinraza zu verabreichen. Die Superkraft-Spritze. Wegen der Parese im Gesicht sollte dieses Mal der Liquor (das „Nervenwasser“), der sowieso entnommen werden muss um einen Ausgleich für das Medikament zu schaffen, auch genau untersucht werden. Am besten wäre hierfür sauberer, reiner Liquor ohne Blutbeimischung gewesen – leider stellte sich die Entnahme dieses mal sehr schwierig dar. Es waren ganze fünf Einstiche nötig um eine einigermaßen brauchbare Probe zu bekommen. Über eine Stunde dauerte das Ganze, verschiedenste Ärzte wurden zu Rate gezogen. Da so lange aber Samus „Ist-mir-egal-Nasenspray“ nicht ausreicht, musste über die Vene etwas nachsediert werden. Gott sei Dank lag der Zugang schon vom Kontrastmittel im MRT, so konnte ihm auch mit Schmerzmitteln geholfen werden. Eine echt unschöne Sache wenn es einfach nicht klappen will, niemand kann etwas dafür, trotzdem fiebern wir als wartende Eltern natürlich mit. Leiden mit. Sorgen uns. Samu selbst weiß zum Glück nichts mehr von dieser Stunde. Hat alles super gemeistert, ist trotz Sedierung mit seiner normalen Beatmungsmaske gut ausgekommen. Stark und tapfer wie immer. Zur Belohnung durfte er sich wie immer etwas vom Wunderbaum aussuchen, ein Nilpferd-Puzzle. Eine gute Stunde später sehr erstaunt darüber, dass er das ausgewählt hat, wollte er doch etwas ganz anderes…ein schöner Trip, wie man an seinem Blick gut erkennen kann  😉

 

 

Die letzte Nacht war recht unruhig, denn wie gewohnt fiebert Samu nach der Punktion immer für 12-24 Stunden auf. Noch nicht ahnend, dass uns das Fieber noch einige Tage begleiten wird durften wir uns also am vergangenen Samstag auf den Heimweg machen. Alle drei erleichtert, dass die Untersuchungen ohne Befund waren. Kein Infarkt, keine Blutung, keine Entzündung im Gehirn. Mittlerweile wissen wir auch, dass es keine Borreliose ist. Vorerst also idiopathisch – ohne erkennbare Ursache. Rätselhaft. Viel Training und Massagen, Lagerung überdenken, Abwarten. Trotzdem waren wir auf der Heimfahrt glücklich. Wie schon gesagt, merkwürdig entschleunigt. Auf das Wesentliche besonnen: Ein gemütliches Zuhause in dem wir gemeinsam als Familie leben können. In dem wir uns frei bewegen können, keine Masken tragen müssen, uns sicher fühlen dürfen. Zuhause, wo man am besten gesund wird. Wo man die gemeinsame Zeit genießen kann. Zuhause, wo sich alles so warm anfühlt wenn man nach einigen Tagen zum ersten Mal wieder durchs Haus läuft. Wo man seinen eigenen Rhythmus leben kann.

 

 

Damit möchte ich auch zum Ende kommen mit meinem „Gastbeitrag“. Falls jemand die Quintessenz noch nicht herausgelesen hat, hier noch ein Beispiel dafür, dass (fast) egal was passiert, es immer schlimmer kommen könnte:

Mama: „Lach doch nochmal für mich!“

Samu: – grinst – „Hmm, die Backe ist immer noch faul…“

Mama: „Vielleicht braucht die einfach ein bisschen neue Superkraft. Und wir trainieren ganz viel. Dann wacht sie bestimmt wieder auf. Und selbst wenn nicht – dann bist du eben mein schief lächelnder Samu und erzählst mir trotzdem weiter deine tollen Piratengeschichten, gibt schlimmeres, oder?“

Samu: „Stimmt, der Himmel könnte uns auf den Kopf fallen!“

 

🙂